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Die Auswirkungen der neuen Produkthaftungsrichtlinie für Software Teil II
Während im vorherigen Blog-Beitrag die Ziele der Produkthaftungsrichtlinie beschrieben wurden und der aktuelle Stand des Verfahrens dargestellt wurde, wird nun auf die materiellen und verfahrensrechtlichen Neuerungen eingangen. Der II Teil dieser Reihe widmet sich der Definition der Software als Produkt und dem erweitereten Haftungskreis. Weitere Änderungen werden dann im Teil III beschrieben.
2. Materielleund verfahrensrechtliche Neuerungen durch die neue Produkthaftungsrichtlinie
2.1. Definition von Software als Produkt (Auswirkungen für das Softwarerecht)
Obgleich der Begriff der „Software“, eine technologie neutralen Ansatz folgend, nach wie vor nicht definiert wird, erfolgt mit Art 4 Abs 1 PHRL folgende Klarstellung: Als Produkt zählt, neben der Elektrizität und digitalen Bauunterlagen[1], Software. Damit wird Software nun definitiv vom Anwendungsbereich des Produkthaftungsrechtes umfasst sein. Somit wird die Diskussion[2],ob eine Software als körperliche und unkörperliche Sache zu qualifizieren ist, zumindest unter diesem Gesichtspunkt, obsolet.
Dem Erwägungsgrund 12 zur PHRL folgend, ist „Software“ dabei weit zu verstehen. Betriebssysteme, Firmware, Computerprogramme, Anwendungen oder – bemerkenswert– KI-System und KI-gestützte Waren[3]sollen ebenso erfasst sein, wie Komponenten, die in andere Produkte integriert werden, also embedded Software. Dabei ist die Art der Bereitstellung irrelevant. Ob die Software auf einem eigenen Gerät gespeichert oder überCloud-Technologien abgerufen wird, ist in diesem Kontext unbedeutend.
Auswirkungen für Open Source Software und das Softwarerecht
Jedoch soll die PHRL nicht für freie und quelloffene (Open Source) Software gelten, die außerhalb einer gewerblichen Tätigkeit entwickelt und bereitgestellt wird.[4] Dies deshalb nicht, da Innovation und Forschung nicht durch gesetzliche Restriktionen eingeschränkt werden soll. Vor dem Hintergrund, dass weit mehrals 50 % allen Software-Quellcodes[5]nach Open Source Lizenzbedingungen lizenziert ist, hat diese Ausnahmeregelung hohe praktische Relevanz. Gleichsam ist diese nicht unumstritten.
Zunächst ist dem, zweifellos schützenswerten Innovationsgedanken (gerade innerhalb der EU), entgegenzuhalten, dass eine zunächst als Open-Source lizenzierte Software regelmäßig in späterer Folge als proprietäre Software vertrieben werden wird. Dies etwa im Wege eines Dual Licensing Modelles.[6] Weiters ist die Differenzierung zwischen „freier“ und quelloffener Software unscharf. „FLOSS“ als Akronym für „Free/Libre/Open-Source-Software“[7] umfasst unterschiedliche Vertriebsformen von Software. Eine „freie“ Software ist dadurch charakterisiert, dass diese unentgeltlich vertrieben wird (diesunabhängig davon, ob der Quellcode offen ist oder nicht). Es ist fraglich, ob der „bloße“ Umstand der Unentgeltlichkeit[8] zueiner Haftungsfreistellung im Sinne des Produkthaftungsgesetzes führen soll. Schließlich lautet das primäre Gegenargument gegen eine Ausnahme von Open-Source-Software: Für den Geschädigten Verbraucher – siehe im Extremfall der einleitend erwähnte,tragische Flugzeugabsturz – wird es irrelevant sein, ob der ihm entstandene Schaden seine Ursache in einer Open-Source-Software oder proprietären Software hatte. Abschließend ist zu konstatieren, dass die Treiber von marktdurchdringender Open-Source-Software mittlerweile die mächtigen (nicht inder EU-ansässigen) Softwareunternehmen sind, denen es bekanntlich nicht an Bonität mangelt.
2.2. Ausdehnung der Haftungsadressaten
Erklärtes Zielder PHRL ist essicherzustellen, dass immer ein Unternehmen mit Sitz in der EU verfügbar ist, das für fehlerhafte Produkte haftbar gemacht werden kann.[9] Wenn etwa ein Hersteller eine fehlerhafte Software-Komponente eines anderen Hersteller („Third-Party-Komponente“) in ein Produkt integriert, so soll der geschädigte Verbraucher Schadenersatz entweder vom Hersteller des Produktesoder vom Hersteller der Software-Komponente verlangen können.[10]
Wenn der Hersteller seinen Sitz außerhalb der EU hat, so soll es möglich sein, den Einführer des Produktes und den Bevollmächtigten des Herstellers haftbar zumachen. Schließlich sollen auch sogenannte „Fulfilment-Dienstleister“ (subsidiär) haftbar gemacht werden können, wenn nicht bereits ein Einführer[11] oder Bevollmächtigter[12] haftbar gemacht werden kann.[13]Händler sollen nur dann haftbar gemacht werden können, wenn sie es verabsäumt haben, unverzüglich einen der zuvor genannten Wirtschaftsakteure (Hersteller[14], Einführer, Bevollmächtigter und Fulfilment-Dienstleister), mit Sitz in der EU zubenennen.[15]
Besondere Aufmerksamkeit verdient hier der Begriff des Fulfilment-Diensteisters[16], da die potentielle Haftung einige Unternehmen durchaus überraschend treffen könnte. Der Anwendungsbereich des Fulfilment-Dienstleisters ist nämlich weit. Der Legaldefinition des Art 4 Abs 14 PHRL folgend, ist ein Fulfilment-Dienstleister jede natürliche oder juristische Person, die im Rahmen einer Geschäftstätigkeit mindestens zwei (!) der folgenden Dienstleistungen anbietet: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand eines fremdenProduktes. Ausgenommen hiervon sind Paketzustelldienste[17], Postdienste[18]und Frachtverkehrsdienstleistungen.
Schließlichsollen auch „Online-Plattformen“ als potentielle Haftungsadressaten in Betracht kommen. Wenn Online-Plattformen in Bezug auf ein fehlerhaftes Produkt die Rolleeines , Einführers oder Händlers wahrnehmen, sollten sie zu den gleichen Bedingungen haften wie solche Wirtschaftsakteure. Spielen Online-Plattformen beim Verkauf von Produkten zwischen Unternehmern und Verbrauchern hingegen eine reine Vermittlerrolle, unterliegen sie einem bedingten Haftungsausschluss nach dem Gesetz über digitale Dienste. Es soll jedoch möglich sein, Online-Plattformen in gleicher Weise haftbar zu machen wie Händler wenn sie das Produkt tatsächlich dergestalt präsentieren oder die betreffende Transaktion auf andere Weise ermöglichen. Dies bedeutet, dass sie nur dann haftbar wären, wenn sie das Produkt so präsentieren oder die betreffende Transaktionanderweitig ermöglichen, und nur dann, wenn die Online-Plattform es versäumt, unverzüglich einen relevanten Wirtschaftsakteur mit Sitz in der Union zu benennen.[19]
[1]Diese Klarstellung ist unter dem Gesichtspunkt „BIM“ (Building InformationModelling“) bemerkenswert.
[2]Vgl LGfZRS Wien Urteil vom 17.5.202019, 64 R 13/19p; Kodek in Schwimann/Neumayr(Hrsg), ABGB Taschenkommentar, 5. Auflage, § 292 Rz 1; Zoppel in Schwimann/Kodek(Hrsg), ABGB Praxiskommentar, 5. Auflage, § 292 Rz 3; De Monte in ZIIR2022/1, 90; Fida, Update, Patches & Co (2022), 133.
[3]Vgl PHRL, S 6.
[4]Vgl ErwGr 13 zur PHRL.
[5]Nach einer Erhebung des Scantool-Anbieter „Synopysy“ basieren durchschnittlichüber 57 % einer Codesbasis auf Open-Source-Software vgl Jaeger/Metzger,Open-Source-Software, 5. Auflage, 20; Tretzmüller, HandbuchSoftwarerecht, S 70.
[6]Vgl Suchomski in Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5. Auflage, 1173; Tretzmüller,Handbuch Softwarerecht, S 72.
[7] Vgl Gosh et al (Hrsg), Study on theEconomic impact of Open-Source-Software in innovation and the competitivenessof the Information and Communication Technologies sector in the EU (2006); Tretzmüller,Handbuch Softwarerecht, S 71.
[8]Hier wird auch der Aspekt „Bezahlen mit personenbezogenen Daten“ zu beachtensein.
[9]Vgl S 2 PHRL.
[10]Vgl ErwGr 26 zur PHRL.
[11]„Einführer“ bezeichnet jede in der Union niedergelassene natürliche oderjuristische Person, die ein Produkt aus einem Drittland auf dem Unionsmarkt inVerkehr bringt (Art 4 Abs 13 PHRL).
[12]„Bevollmächtigter“ bezeichnet jede in der Union ansässige natürliche oderjuristische
Person, die von einem Hersteller schriftlichbeauftragt wurde, in seinem Namen
bestimmte Aufgaben wahrzunehmen (Art 4 Abs 12 PHRL).
[13]Vgl ErwGr 27 zur PHRL.
[14]„Hersteller“ bezeichnet jede natürliche oder juristische Person, die einProdukt entwickelt, herstellt oder produziert oder ein Produkt entwickeln oderherstellen lässt oder dieses Produkt unter ihrem Namen oder ihrer eigenen Markevermarktet oder die ein Produkt für den Eigenbedarf entwickelt, herstellt oderproduziert (Art 4 Abs 11 PHRL).
[15]Vgl ErwGr 27 zur PHRL.
[16]„Fulfilment-Dienstleister“ bezeichnet jede natürliche oder juristische Person,die im Rahmen einer Geschäftstätigkeit mindestens zwei der folgendenDienstleistungen anbietet: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versandeines Produkts, an dem sie kein Eigentumsrecht hat, ausgenommen Postdienste imSinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 97/67/EG des EuropäischenParlaments und des Rates52, Paketzustelldienste im Sinne von Artikel 2 Nummer 2der Verordnung (EU) 2018/644 des Europäischen Parlaments und des Rates53 undalle sonstigen Postdienste oder Frachtverkehrsdienstleistungen (Art 4 Abs 14PHRL).
[17]Im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 der VO 2018/644.
[18]Im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der RL 96/67/EG.
[19] VglErwGr 28 zur PHRL.
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